Leichtathletik-Verband Nordrhein

„Ich kann mich gar nicht mehr an den Wurf erinnern.“

Der Wurf zum Gold
Foto(s): Wolfgang Birkenstock

Katharina Molitor holte bei der Leichtathletik-WM mit dem letzten Versuch Speerwurf-Gold

Peking. Es war der letzte Wurf Katharina Molitors, es war der letzte Wurf des Speerwurf-Finales bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften.

Die Leverkusenerin lag zu diesem Zeitpunkt auf Platz drei. Bronze hatte sie sicher, das wäre auch schon ein großer Erfolg gewesen. „Man spürt schon, dass es weit war. Aber nicht so weit. Ich kann mich auch gar nicht mehr an den Wurf erinnern“, räumt sie ein. Selbst bei der Siegerehrung wusste sie noch nicht, wie weit sie genau geworfen hatte.

Sie wusste nur: Es hat für Gold gereicht. Es waren exakt 67,69 Meter.

Natürlich persönliche Bestleistung. Auch über das ganze Jahr hat niemand in der Welt weiter geworfen. Ein krönender Abschluss der WM für das deutsche Team. Und die einzige Medaille für eine Athletin aus dem LVN.

 

Von den vier deutschen Speerwerferinnen war es Katharina Molitor, die in der Qualifikation die größten Schwierigkeiten hatte und als einzige die Qualifikationsweite von 63,50 Metern nicht geschafft hatte. In der ersten Runde hatte vor allem die Jüngste des deutschen Quartetts, die Zweibrückerin Christin Hussong, geglänzt. Auf 65,92 Meter hatte sie den Speer geschleudert, weiter als alle anderen.

Es dauerte lange, bis das Finale in Schwung kam. Das war keine Frage der Stimmung. Die war bestens, zwei Chinesinnen waren dabei. Aber so richtig weit mochten die Speere am Sonntag Abend im „Vogelnest“ zunächst nicht fliegen. Nach den ersten drei Versuchen mussten sich schon renommierte Werferinnen verabschieden. Die Tschechin Barbora Špotáková, Olympiasiegerin 2008 am gleichen Ort und 2012 in London, kam nur auf 60,08 Meter und wurde Neunte. Die Leverkusenerin Linda Stahl, Europameisterin von 2010 und Olympia-Dritte von London, musste sich als Zehnte gar mit mageren 59,88 Metern begnügen. Für beide war das Finale frühzeitig beendet.

 

Katharina Molitor kam im zweiten Durchgang auf 64,74 Meter. Damit setzte sie sich an die Spitze des Feldes und blieb dort erstaunlich lang. Ihr dicht auf den Fersen waren die Chinesin Huihui Lyu (64,72) und die Titelverteidigerin Christina Obergföll mit 64,61 Metern. Erst ab dem vierten Durchgang flogen die Speere einer WM angemessen weit. Die Südafrikanerin Sunette Viljoen eröffnete mit 65,79 Metern den Reigen.

Die Fans auf den Tribünen tobten, als Huihui Lyu sich im fünften Versuch mit 66,13 Meter an die Spitze des Feldes setzte. Obergföll konnte sich nicht mehr steigern und wurde am Ende Vierte. Christin Hussong, gerade einmal 21 Jahre alt, erreichte bei ihrer ersten WM mit

62,98 Meter Platz sechs und war damit hochzufrieden. Ihr Potential hat sie angedeutet.

Und dann stand Katharina Molitor am Anlauf. Sechster Durchgang. Da sie nach dem Vorkampf geführt hatte, war sie die letzte, die werfen durfte.

„Ich habe direkt auf die Leinwand geguckt“, erinnert sich die 31-Jährige an den entscheidenden Augenblick ihrer sportlichen Karriere.

Und noch bevor die Weite auf der Anzeige erschien, wusste sie, das war der Gold-Wurf.

 

Die entthronte Titelvereidigerin Christina Obergföll war die erste, die ihr gratulierte. Dann sprintete Molitor direkt zu ihrem Trainer Helge Zöllkau. Ansonsten sieht sie das ganze eher nüchtern. Auf die Ehrenrunde hat sie verzichtet, emotionale Ausbrüche sind nicht ihr Ding. Die Aussage: „Das ist phänomenal“ war so ziemlich der einzige Ausdruck der Begeisterung aus ihrem Munde.

In den vergangenen Jahren hatte Molitor, die nebenbei noch in der zweiten Bundesliga Volleyball spielt, immer im Schatten ihrer Kolleginnen und Konkurrentinnen gestanden. Zunächst von Steffi Nerius, die 2009 in Berlin Weltmeisterin geworden war, dann von Linda Stahl und Christina Obergföll. „Ich habe nie gedacht, dass ich mal dran wäre mit einer Medaille“, so Molitor. „Aber ich habe mich gefragt, warum der Speer nicht weiter fliegt.“ In den letzten zwei, drei Jahren habe sie immer mal wieder daran gedacht, ihre Laufbahn zu beenden. Warum der Speer jetzt, 2015, so weit fliegt, weiß sie nicht so recht. „Es läuft halt“.

„Wir haben ein bisschen was an der Technik geändert“, erläutert Trainer Zöllkau. Zurück zum Bewährten. Nach dem guten Jahr 2011 hatte er versucht, mit seiner Athletin einen schnelleren Anlauf umzusetzen.

„Das hat aber nicht geklappt“, räumt er ein. Molitor habe den Abwurf nicht mehr so gut umsetzen können. Jetzt läuft sie wieder wie früher etwas ruhiger an und kommt damit besser klar. Auch beim finalen Gold-Wurf hat Zöllkau genau hingeguckt: „Der war von der Schulter her komplett locker, sie hat die Energie komplett in den Speer gelegt.“

Also nahezu perfekt. Nur die Chinesen könnten ein wenig sauer auf sie sein, dass sie Huihui Lyu im letzten Augenblick noch Gold weggeschnappt hat.

 

Wolfgang Birkenstock | 01.09.2015 00:00

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